Löbauer Sagenschatz
DIE WUNDERBLUME
Der Löbauer Ratsförster Kajetan Schreier will im Jahre 1570 die Wunderblume geschaut haben. Er ging in der Nacht auf dem Berge dem Weidwerk nach und schoß nach einem Rehbock. Ihn suchend, wehte ihm plötzlich der Wind einen wunderlieblichen Duft entgegen. Ihm ging er nach; aber sonderbar, der Mann, der sonst jeden Baum und Strauch auf dem Berge kannte, ging irre und wanderte im Kreise umher. Nun vernahm sein Ohr auch sanfte Aeolsharfentöne, und plötzlich erblickte er, vom magischem Lichte erleuchtet, die Wunderblume. Da wußte er nicht, wie ihm geschah. Er blieb unentschlossen, ob er hören, sehen oder riechen oder die Blume brechen sollte. Seine Sinne schwanden. Plötzlich verkündete der Seigerschlag in Löbau die zwölfte Mitternachtsstunde. Ein Blitz, ein Krach - und die Blume war verschwunden. Wohl wußte der Jäger jetzt, was er hätte tun sollen, aber es war zu spät. Geheimnisvoll rauschten nur noch die Bäume. Am Orte, wo die Blume gestanden, war keine Spur von ihr zu sehen. Der kühle Morgenwind aber wehte dem Jäger einen schwarzen Pergamentstreifen entgegen. Da war eine geheimnisvolle lateinische Schrift darauf zu lesen, die übersetzt also gelautet haben soll: Der Sterbliche von reiner Seele, der zu meiner Blütezeit von ungefähr hierher kommt, kann mich brechen und das Glück, das ich ihm gewähre, genießen, wo nicht, so fliehe er, so weit er kann!
DER GELDKELLER
Von diesem Geldkeller wird mancherlei erzählt. Schon ein alter Schriftsteller sagt, daß das gemeine Volk in dem althergebrachten Wahne stehe, es sei darin ein großer Schatz verborgen. Andere berichten, daß darin die verstorbenen Löbauer Bürgermeister einen Schatz hüten, um der Stadt im Notfalle damit helfen zu können. Freilich sei der Geldkeller nur selten offen: nur am Weihnachts- und Silvestertage nachts 12 Uhr und am Charfreitag und Johannestage. Wer ihn nun von ohngefähr offen fände, der gelange zu großem Reichtum; wen aber Habsucht treibe, ihn aufzusuchen, vermöge niemals die eifrig zusammengerafften Schätze glücklich nach Hause zu bringen und erleide obendrein noch irgend eine harte Strafe. Das haben schon viele erfahren.
Auch einer armen Tiefendorfer Mutter ist es so ergangen. Das war an einem Charfreitage. Sie war mit ihrem Kinde auf den Berg gegangen und in die Nähe des Geldkellers gekommen. Als man eben in der Hauptkirche in Löbau die Passion absang, hatte sich des Kellers Tür geöffnet. Neugierig schaute die Frau in ihn hinein. da sah sie das viele Gold und Silber und die Pfannen voller Goldstücke umherstehen. Rasch eilte sie mit dem Kinde auf dem Arme hinein. Sie setzte dasselbe auf einen Tisch und raffte nun ihre Schürze voll von Schätzen. Dann eilte sie hinaus und fort. Jetzt aber erinnerte sie sich ihres Kindes, das sie in ihrem Eifer vergessen hatte und lief zurück. Aber trotz alles Suchens, Weinens und Flehens war die Tür nicht mehr zu finden. Gern hätte sie alle Schätze wieder dahingegeben, um nur das Kind zurükzuerhalten. Da wanderte sie nun täglich auf den Berg, bis endlich die Osterzeit wieder herankam. Und, welche Freude! am Charfreitag war der Geldkeller wieder offen. Wieder eilte die Frau hinein. Da war auch das Kind noch da und spielte auf dem Tische mit goldenen Ãpfeln. Jetzt dachte die Mutter nicht an die Schätze, sondern nur an das Kind und eilte mit ihm hinaus. Aber, o Schreck! als sie mit ihm das Sonnenlicht erreichte, war es in ihren Armen - tot. Freilich solls auch welche gegeben haben, die sind reich und glücklich geworden!
DIE KEGELSCHIEBENDEN ZWERGE
Zwei Freunde ergingen sich einst auf dem Berge, und am Abend trafen sie an einem Orte eine Menge ganz kleiner Leutlein. Die schoben Kegel und luden die beiden Löbauer freundlich ein, mitzuschieben. Das taten diese denn auch, und das vergnügen dauerte bis in die späte Nacht. da wurden die beiden Freunde müde und empfahlen sich. Beim Abschied schenkten die Zwerge jedem eine Kugel. Ach, dachte auf dem Heimwege der eine, die ist mir zu schwer und warf sie weg. Der andere nahm seine Kugel mit nach Hause, und siehe da, da zeigte sichs, daß sie von purem Golde war. Da war er nun ein reicher Mann und der andere hatte nichts.
Anmerkung: Der Text wurde dem Buch “Die Stadt Löbau i. Sa.” aus dem Jahre 1904 entnommen. Verfasst von dem damaligen Oberlehrer K. A. Kretschmar.